Polnische Pflegerinnen arbeiten v.a. für Spesen
Beitrag „Faire Arbeitsmigration Berlin“:
Wie mit polnischen „Müllverträgen“ der Pflegemindestlohn in der 24-Stunden-Pflege umgangen wird.
Beata* wollte einfach Geld verdienen, in Polen hatte sie dazu keine Chance. Ein Anruf bei „Career Investment“ in Krakau genügte, schon hatte sie einen Job in Deutschland. Dafür steht ihr eigentlich derin Deutschland gültige Pflegemindestlohn zu. Eigentlich.
Beata pflegte seitdem 24 Stunden pro Tag ältere Menschen. Natürlich sind solche Arbeitszeiten nicht zulässig, doch Beata ist nicht als Pflegerin angestellt. „Sie hat keinen Arbeitsvertrag, sondern einen polnischen Vertrag, mit dem sie beauftragt wurde eine bestimmte Tätigkeit auszuüben“, erklärt Beraterin Sylwia Timm von Faire Mobilität: Die Firma ist lediglich Beatas Arbeitgeber. Formal ist es dann Beata selbst, die entscheidet, wie und in welcher Zeit sie den Auftrag erledigt. Rechtlich arbeitet sie wie eine Selbstständige und hat keine Arbeitnehmerrechte. Solche Verträge gibt es in Deutschland nicht, in Polen werden sie „Müllverträge“ („Umowa śmieciowa“) genannt.
Weil Firmen damit Sozialabgaben und Löhne sparen und keine Verantwortung für die Beschäftigten übernehmen müssen, werden diese Verträge häufig genutzt, was schon in der Vergangenheit in Polen immer wieder zu heftigen Kontroversen geführt hat. Laut dem polnischen Amt für Statistik arbeiteten 2015 ca. 1,3 Millionen Menschen auf Basis solcher oder ähnlicher Verträge. Arbeitszeiten, Urlaubstage und andere Details eines Arbeitsvertrages sucht man darin vergeblich. Beata wusste das, als sie den Vertrag unterschrieb. Was sie nicht wusste: Laut Vertrag bestand ihr Auftrag nicht nur darin, sich um pflegebedürftige Menschen in Deutschland zu kümmern, sondern sie sollte für die Vermittlungsagentur in Polen auch noch Pflegerinnen und Pflegebedürftige anwerben.
Entsendung mit einem „Müllvertrag“
Pflegetätigkeiten sind in ihrem Vertrag nur ein Aufgabenbereich. Dazu heißt es: „Dem Auftragnehmer können zusätzlich Betreuungsaufgaben von behinderten Menschen oder Menschen in fortgeschrittenem Alter aufgetragen werden“. Vor einigen Jahren wurde noch mit normalen Arbeitsverträgen getrickst, erinnert sich Sylwia Timm: „Damals wurden Frauen in Polen auf Grundlage eines Arbeitsvertrages angestellt und nach Deutschland entsandt“. Heute kommen fast keine polnischen Frauen mehr mit echten Arbeitsverträgen in die Beratung. Längst sind die polnischen Müllverträge in der 24-Stunden-Pflege Normalität, das deckt sich auch mit den Erfahrungenvon Monika Fijarczyk vom „Büro für entsandte Beschäftigte“ in Berlin.
„Ein echtes Angestelltenverhältnis scheint für die Vermittler nicht mehr attraktiv. Sie haben das Problem, dass die polnische Sozialversicherungsanstalt seit geraumer Zeit keine A1-Bescheinigungen mehr ausstellt, ohne dass in Polen ein nennenswerter Umsatz nachgewiesen werden kann. Bietet eine Person ihre Dienstleistung jedoch in zwei oder mehreren EU-Ländern an, kann sie über eine andere Regelung entsandt werden. Diese Möglichkeit nutzen die Vermittler nun“ und sie erklärt die seltsame Vertragskonstruktion mit gleich mehreren Aufgabenstellungen in mindestens zwei Ländern. Im Falle von Beata bestehen die Aufträge eigentlich darin, andere Pflegerinnen in Polen anzuwerben und gleichzeitig alte Menschen in ihrem Zuhause in Deutschland zu betreuen. Somit bietet sie ihre Dienste in zwei Ländern.
Natürlich wirbt Beata praktisch niemanden in Polen an, sondern arbeitet rund um die Uhr als Pflegerin in Deutschland. Hier betreut sie alleine eine Demenzkranke und ihren krebskranken Mann. Mindestlohn gab es nie, am Ende gar kein Gehalt.
Die Familie der Pflegebedürftigen könnte- falls sie sich dafür interessiert – trotzdem denken, Beata erhielte für ihre Tätigkeit in etwa den Pflegemindestlohn, der in Deutschland gültig ist: Pro Monat bekommt die Pflegerin 1.250 Euro ausbezahlt. Doch dieser Betrag setzt sich weder aus einer Bezahlung nach Stunden zusammen, noch spielt beider Berechnung der in Deutschland gültige Branchenmindestlohn irgendeine Rolle. Beata muss rund um die Uhr für ihre Mitbewohner da sein. Wenn Beata in Polen ist, bekommt sie für ihre „Werbetätigkeit“ 25 Euro pro Monat Festgehalt. Ist sie „auf Dienstreise“ in Deutschland, stehen ihr 140 Euro monatlich zu. Pro Dienstreisetag im Ausland, an dem sie pflegt, erhält sie zusätzlich eine Pauschale von etwa 37 Euro. Diese Pauschale besteht aus steuerfreien Spesen ohne Lohnbestandteile. Der Effekt: Für einen Großteil des ausgezahlten Betrages werden keine Sozialabgaben abgeführt.
Beata wäre wegen dieses seltsamen Vertrags trotzdem nie auf die Idee gekommen, Hilfe bei Faire Mobilität zu suchen: Immerhin bekam sie das Geld, was ihr laut Vertrag zustand. Bis zu dem Zeitpunkt, als ihr plötzlich gar kein Lohn mehr bezahlt wurde. Sie beschwerte sich zunächst bei der Agentur, die sich plötzlich nicht mehr kooperativ zeigte. Also wandte Beata sich an Faire Mobilität in Berlin. Ein Anruf der Beraterin Timm genügte und das Geld wurde noch am gleichen Tag ausgezahlt. Offensichtlich wollte die Agentur keine Scherereien haben.
Allerdings stellte sich heraus: Beata war kein Einzelfall, in Polen gab es 50 weitere Frauen, die gegen dieselbe Vermittlungsagentur klagten und ihre ausstehenden Löhne einfordern mussten.
Keine Chance auf Lohn für 24 Stunden
„Davon abgesehen: Die Pflegerinnen hätten unserer Meinung nach sowieso Anspruch auf den in Deutschland gültigen Pflegemindestlohn und das für mehr als acht Stunden am Tag“, sagt Sylwia Timm von der Beratungsstelle. Die polnischen Agenturen wissen das. Sie werden professionell beraten, wie sie Mindestlöhne und Sozialabgaben umgehen können. Ihr bekanntester Berater ist Tomasz Major. Seine Anwaltskanzlei bietet ständig neue Schulungen zum Thema Entsendung an, seine Partner nennen ihn „Guru der Entsendung“. Eine der größten Agenturen, die ebenfalls gute Verbindungen zum Netzwerk Majors besitzt, wirbt bei Familien und Pflegerinnen auf ihrer Website um Vertrauen: „Die von uns vermittelten Betreuungs- und Pflegekräfte aus Osteuropa zahlen Steuern, leisten Sozialabgaben, sind versichert und werden unter Berücksichtigung des geltenden Mindestlohns bezahlt.“
Berücksichtigung des Mindestlohns bedeutet in diesem Fall: Finde die Lücke, durch die der Mindestlohn umgangen werden kann. Inzwischen warnt Major gar vor den polnischen „Müllverträgen“. Denn im Nachbarland werden die Auftragsverträge immer stärker reguliert und kontrolliert. Es bleibt abzuwarten, welche Gesetzeslücke Major und die Agenturen in Zukunft finden werden, um die polnischen Pflegerinnen um ihren gerechten Lohn zu bringen.
*Der Name der Pflegerin wurde auf Wunsch geändert, um sie zu schützen.